Gibson Melody Maker ´64
Wenn ich meinen Beruf mit dem einer Kassendame im Supermarkt vergleiche, dann strotzt mein Job nur so vor Abwechslung: neu besaiten, einstellen, bundieren, Fehler in der Elektrik suchen, löten, reinigen, ölen, polieren, leimen, leimen, leimen, leimen… hepp… was ist da los? Ja stimmt – in letzter Zeit hatte ich so viel zu leimen, dass mir fast die Schraubzwingen ausgegangen sind… Zufall.
Da war ich aber froh, als die Tür aufging und jemand mit dem Gitarrenkorpus einer Gibson Melody Maker (ca. Bj. ´64) hereinkam, ein Korpus ohne alles… also nicht ganz ohne alles… Sunburst-Lack und ein Stück Hals war noch am Stöckel vorhanden, aus dem noch der Halsstab herausragte. „Bitte einen neuen Hals, geht das?“ „Okay, muss ich mal meine Mahagoni-Bestände durchschauen,
wird sich schon was Altes finden.“
Die Melody Makers aus den 50ern und 60ern sehen zwar ein wenig nach Damengitarre aus (sorry Ladys), haben aber ein wahrhaft männliches Sustain (sorry Ladys), 1-teilige Brücke, 1-teilige Hölzer für Body und Neck, nur die Pickups waren etwas schwach auf der haarlosen Brust (sorry Ladys). Aber das Elektrische war in unserem Fall sowieso nicht mehr vorhanden, ohnehin sollte das gute Holzstück nicht mehr original werden, sondern das tun, wofür es die besten Voraussetzungen hat, nämlich „schwingen und klingen“! Und noch etwas gibt es über Melody Makers zu erfahren: es gab damals welche mit normaler Mensur und welche mit kurzer Mensur (die einen für die Herren, die anderen für die Damen… sag ich doch).
Jemand hat also den Hals abgesägt, aber aus irgendeinem Grund den Halsstab stehengelassen. Why is that? Komisch… ich mess´ den mal nach und muss feststellen, dass es sich bei unserem
Vintage-Schätzchen um eine kurz-mensurige Damengitarre handelt. Aha, vermutlich wollte da schon mal jemand einen langen Hals reinkleben.
Nun ist die Sachlage bei den Originalen aber die: lange Mensur – Brücke sitzt weiter vorn im Korpus; kurze Mensur – Brücke sitzt weiter hinten im Korpus. Mein Kunde wünscht sich natürlich eine
normale Gibson-Mensur und so ergibt es sich, dass – wenn wir von den vorhandenen Brücken-Hülsen weg messen – der Hals-/Korpus-Übergang am 13ten Bund sein wird. Anderenfalls müsste ich die Hülsen
versetzen, was einen Rattenschwanz an zusätzlichen Arbeiten nach sich ziehen würde und außerdem die zu verschließenden Bohrungen sichtbar sein würden. Schriftlich ist das alles schwer zu erkären… ich
hoffe einfach, ihr versteht, was mein wirres Gehirn zu erkären versucht.
Vermutlich hat da schon mal einer mit einem neuen Hals angefangen, und dann frustriert aus den mensur-bedingten Gründen aufgegeben. Und so habe ich also die Ehre, aus diesem wirklich guten Stück
Restholz noch was Anständiges zu fabrizieren.
Soviel zur Bestandsaufnahme, jetzt an die Arbeit. Und die startet äußerst angenehm mit einer umfangreichen Suche im Holzlager, ich liebe das! Als Gitarrenbauer sollte man ein wenig vorausschauend denken und sich beizeiten alte oder ältere Hölzer anschaffen. Könnte ja sein, dass man mal gutes Mahagoni braucht um z.B. einen Gibson-Hals nachzubauen. Denn – seid mir nicht böse, ihr ebay-Händler da draussen – das, was es an vorgefertigten Gibson-Style-Hälsen zu kaufen gibt, ist weit weg von dem was es braucht… und das wäre ein 1-teiliges Stück Holz, möglichst KEIN Sipo oder Sapele und ein bodenständiger 1-Wege-Halsstab.
Von ganz unten hinten ziehe ich also ein Kantel Khaya-Mahagoni aus dem Stapel, da habe ich mal „30 Jahre alt“ draufgeschrieben, und das war 2005, weiß ich noch. Also jetzt - während ich diese
Zeilen schreibe - 40 Jahre alt… das passt wunderbar, schön leicht ist es auch noch, außerdem hat Khaya ein enges verwandschaftliches Verhältnis zum Regenwald/Honduras-Mahagoni (Swietenia), die
afrikanische Tante, quasi.
Als Griffbrett entdecke ich ein (schon mal benutztes und grausig verbogenes) Palisander-Board, das ich mal von einer Schlacht-Gitarre runtergeföhnt habe, die Mensur von 625mm passt genau. Den
vorhandenen Halsstab – wohlgemerkt, kurzmensurig! – habe ich mir lange angeguckt, um dann festzustellen, dass ich den sogar verwenden kann, denn er muss ja nicht bis zum 22ten Bund reichen… haben wir
doch ab dem 13ten Bund schon Korpus!
Die Materialien liegen bereit, fange ich also an, den Resthals aus dem Korpus zu stemmen. Und dabei stelle ich schon fest, welch tolle Qualität diese alten Gibson-Hölzer von damals hatten. Wunderbar leicht, hart und spröde… Was mir auffiel war ein sonderbarer Streifen … was war das überhaupt… Linoleum, der auf den Stahlstab gelegt war, offenbar um zu verhindern, dass Leim von der Ahornstreifen-Kleberei die Justierbarkeit behindert? Heute haben die 1-Wege-Stahlstäbe ein sogenanntes Kondom – eine dünne harte Plastikhülle – die die gleiche Funktion erfüllen soll. Es gibt Leute, die das Kondom entfernen, um dem Klang der 50er näher zu kommen (ernsthaft!), aber denken die auch an das Linoleum? (Mir fällt als Geschäftsidee sofort ein, ein Stück von Mutters Fußboden teuer an solche Leute zu verkaufen… neee!)
Als nächstes wird der Hals-Rohling für den Trussrod (altdeutsch: Halsstab) präpariert. Dafür wird eine gebogene Nut gefräst und der Halsstab reingelegt, letztlich mit einem Ahornstreifen
verschlossen (ich habe hier Ebenholz genommen für die extra tiefen Schwingungen bei ca. 150hz bei einem offen gespielten Gdur9… Spaß…). Danach wird das verbogene Griffbrett begradigt und aufgeleimt,
mit Knochenleim, damit sich das glashart verbindet.
(Ein paar Arbeitsgänge muss ich aber überspringen, sonst wird das hier ein Roman.)
Shaping ist angesagt, in der Breite wie in der Form. Das Profil sollte ein dickeres sein, damit der Ast schwingt, aber nicht zu unkomfortabel ist, da sollte man beim Feilen und Schleifen schon ein
klein wenig Erfahrung haben.
Die Kopfplatte bekommt ein originales Gibson-Overlay mit gesiebtem Logo, welches mal von einer der zahlreichen Modifikationen (hier z.B.) abgefallen ist.
Am Ende der ganzen Shaperei – und das kann nicht oft genug erwähnt werden – kommt das, womit der Gitarren bauende Gitarrenbauer am meisten Zeit totschlägt: schleifen, schleifen, schleifen… da
geht es dir eine Zeit lang wie der Kassendame am Supermarkt, kassieren, kassieren, kassieren…
Das Aufregendste ist dann die Hochzeit von Hals und Korpus. Nachdem das alles genauestens(!) trocken eingepasst und 3mal kontrolliert wurde, kann man den Kochenleim aufkochen, sich über den Gestank
aufregen, die Halstasche und das Halsende anwärmen und anfeuchten, jetzt einpinseln, zügig zusammensetzen und zwingen. So lass ich das 24 Stunden stehen.
Am nächsten Tag werden die Zwingen entfernt (das ist ein schöner Moment, denn wir haben jetzt zum ersten Mal sowas wie eine richtige Gitarre in der Hand) und die Leimstellen gesäubert. Anpfiff zum Lackieren! Nitro selbstredend. Ein bisschen Burst muss schon sein, war damals ja auch der letzte Schrei, außerdem kommt in den Lack noch gut Amber hinein… damit keiner merkt, dass das hier ein frischer Hals ist (psst!). Nach wochenlangem Trocknen der gefühlten 20 Lackschichten muss ich mal wieder… na, wer hat´s erraten… schleifen! Ja, schleifen und polieren. Da mach ich gleich noch den Korpus mit, der war ja auch schlimm beieinander, wurde wahrscheinlich mal quer über die Bühne geschossen.
Die letzte Instanz ist das Assemblieren von allen Teilen, sprich Pickguard (das musste neu hergestellt werden), Elektrik (schlichte Geschichte… Pickup, Volume und go!), Mechaniken. Die Spannung steigt, denn der erste Akkord ist nicht mehr weit! Nochmal ein Blick auf das Werk: ganz viel gutes Mahagoni, ein P33 von Barfuss, Wraparound-Bridge.
Ich ziehe andächtig Pure Nickel Saiten auf, stimme, justiere und dann wird das Gerät angesteckt. Am anderen Ende hängt ein Marshall. Baaammm!!! Sack und Asche... das Teil schüttelt sich (und mich) von vorn bis hinten dermaßen durch, dass ich schier Doppelbilder sehe… ich bin sprachlos für die nächsten 30 Minuten, spiele ein Riff nach dem anderen… dann ruf ich den Kunden an: „Jochen, die Granate ist fertig!“ Unglaublich.
Das alles bestätigt wieder einmal die so oft gemachte Erfahrung: eine herausragende Holzqualität spielt bei elektrischen Gitarren eine große Rolle, außerdem lohnt es sich immer, solch gute Stücke mit Knochenleim zu verarbeiten, die Verbindungen sind einfach deutlich „schwingungsleitender“, da brauch ich kein Cryo, kein Einschwingen, das bringt´s von alleine. Ergo: wir Gitarrenbauer müssen einfach amtliche Arbeit erledigen, so wie´s die Großväter vorgemacht haben, mit anständigen Materialien und gutem Werkzeug… so einfach ist das!